![]() |
|
Junge Literaturkritik | |
In diesem Jahr findet nun schon zum zweiten Mal die globale°- Festival für grenzüberschreitende Literatur in Kooperation mit der Universität Bremen statt. In diesem Jahr beschäftigten sich Studenten des Masterstudienganges "Transnationale Literaturwissenschaft: Literatur.Theater.Film" des Fachbreichs 10 der Universität Bremen mit den Autoren der diesjährigen globale°. In Seminarform erarbeiteten sie sich einen Zugang zu den einzelnen Werken und verfassten Rezensionen. Diese werden auch im Weserkurier erscheinen. Außerdem werden die Studenten z.T. die Moderationen der einzelnen Veranstaltungen übernehmen und im Anschluss Gespräche mit den Autoren führen. |
|
Akos Domas: Die allgemeine Tauglichkeit. Roman | |
Rena Dumont: Paradiessucher. Roman | |
Radek Knapp: Reise nach Kalino. Roman | |
Boualem Sansal: Rue Darwin. Roman | |
Anila Wilms: Das albanische Öl oder Mord auf der Straße des Nordens. Roman | |
Akos Domas: | |
Die allgemeine Tauglichkeit. Roman. 269 Seiten. Rotbuch
Verlag. Berlin 2010. 18.95 € besprochen von: Tanja Koelen Die
Welt ist eine Scheibe! Und an ihren Rand gedrückt leben vier Außenseiter:
Fern, Armir, Igor und Ludovik, die alle durch das Schicksal abgedrängt
wurden. Wer aber denkt, bei Akos Domas neusten Roman Die allgemeine Tauglichkeit
handele es sich um ein soziales Drama von vier Aussätzigen, irrt.
Aus der pessimistischen Sicht des Ich-Erzählers Fern erlebt man eine
Geschichte, die sich in, um und - auf gewisser Weise auch - an einem heruntergekommenen
Haus an einem Bahndamm abspielt. Ob Liebe, Arbeit, Wohlstand oder Glück,
der unzufriedene Erzähler findet immer etwas, um seiner liebsten
Beschäftigung nachzukommen: Meckern. Das Unglück anziehend begeben
sich die vier ungleich-gleichen Freunde auf einen Ausflug mit einem geklauten
Wohnmobil und landen vom Regen in die Traufe. Ihre weggespülte Freiheit
ertrinken sie im Alkohol und ihrer Sehnsucht nach der hübschen Regional-Reporterin
Sybille, die sie allerdings nur aus Hochglanzmagazinen kennen. Als sie
von ihrer unglücklichen Reise in ihr Heim zurückkehren, hat
sich in der Zwischenzeit Albert auf dem Dachboden eingenistet. Im Gegensatz
zum Erzähler der Geschichte ist er sympathisch, aufgeschlossen und
stets positiv. Kurzum alles, was Fern nicht ist. Mit einem Hauch von Eifersucht
und viel Missgunst tritt er dem Strahlemann entgegen und versucht, ohne
Erfolg, seine Freunde mit Inbrunst gegen den Neuen aufzuwiegeln. Schritt
für Schritt beginnt Albert, das verkommene Haus zu renovieren und
verändert ganz nebenbei die Leben von Amir, Ludovik und Igor. Sein
Tatendrang und positive Stimmung stecken die Hausbewohner an. Auch Fern
lässt sich nach langem Sträuben in den Bann des Gewinnertypen
ziehen. Gemeinsam verwandeln sie in mühevoller Kleinstarbeit die
Ruine in eine Pension. Die Eröffnung verläuft anders als erhofft
und tritt eine Verkettung unglücklicher Zufälle los. Am Ende
kommt es schlimmer und anders als man denkt. Der Schluss hält eine
Überraschung für Leser und Charaktere bereit, die so unglaubwürdig
erscheint, dass man es fast nicht glauben mag. |
|
Rena Dumont: | |
Paradiessucher. Roman. 304 Seiten. Hanser Verlag. München
2013. 14.90 € besprochen von: Sandra Baumgarten und Christian Glade Vom Suchen und Finden des Paradieses Für
die einen bedeutet das Paradies Reichtum und Wohlstand, für die anderen
ist es ein freier Wille. Immer ist es jedoch das Streben nach Selbstverwirklichung
und die Erfüllung lang gehegter Träume. |
|
Radek Knapp: | |
Reise nach Kalino. Roman. 256 Seiten. Piper Verlag. München
2012. 19.99 € besprochen von: Aaltje Anhalt und Elena Tüting Im Land der Perfekten Radek Knapp ist ein Autor mit einer Vorliebe für
sympathische Verliererfiguren. Seine Werke sind voll von seinem ganz eigenen
Humor und philosophischen Gedanken. In seinem neuesten Roman nimmt er
den Leser mit auf die Reise nach Kalino, auf der man auf eine völlig
fremde Gesellschaft trifft. Das Buch wird in Bremen im Rahmen der globale°
vorgestellt. Das Literaturfestival beschäftigt sich mit grenzüberschreitender
Literatur. Wie passt das Schaffen des Autors in diesen Rahmen? Teils offen,
teils versteckt fließt seine polnische Herkunft in seine Arbeiten
ein. Da er auf Deutsch schreibt und in Österreich lebt, werden Brücken
zwischen Ländern geschlagen. Der gebürtige Pole ist bei seiner
Großmutter in Warschau aufgewachsen und dann mit nur 12 Jahren seiner
Mutter nach Wien gefolgt. Dort studierte er nach seiner Matura Philosophie,
was sich eindeutig in seinen Werken niederschlägt. Ähnlich wie
der Protagonist aus Papiertiger, schlug er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs
durch, bis er schließlich 1994 mit Franio einen Überraschungserfolg
landete. Seitdem hat er vier weitere Romane geschrieben. Den Ausgleich
zur Arbeit am Schreibtisch findet er auf dem Kutschkermarkt in Wien-Währing
als Obstverkäufer, wo er seine preisgekrönte Marillenmarmelade
unter die Leute bringt. |
|
Boualem Sansal: | |
Rue Darwin. Roman. 261 Seiten. Merlin Verlag. Gifkendorf
2012. besprochen von: Lisa Brunke und Marc Dauen Was ist mit dem Migrant, der bleibt? Was kann Literatur bedeuten, die von einer Welt, einem
Land erzählt, das nur allzu gerne zu einer exotischen Fremde stilisiert
wird? Vor allem, was kann diese Literatur einem als deutsch sozialisierten
Publikum bedeuten? Spätestens seit seinem Roman Das Dorf des Deutschen
von 2008 scheint das Schreiben des Boualem Sansal im Interesse des deutschsprachigen
Literaturbetriebes angekommen zu sein. Doch die Frage auf welchen Wegen
seine Worte, Sprache und Geschichten in unserer „aufgeklärten“
modernen Welt ankommen, bleibt. Haben sie –wie so viele Migranten
– mit dem Schiff nach Europa übergesetzt, um nun am Rande der
öffentlichen Aufmerksamkeit ihre Existenz zu behaupten? Fügen
sie sich als algerische Exportprodukte in die Klassifizierungen der Literaturindustrie
oder sind sie doch kleine Anschläge auf die etablierte Ordnung der
bestehenden Verhältnisse in der globalen Welt? |
|
Anila Wilms: | |
Das albanische Öl oder Mord auf der Straße des Nordens.
Roman. 176 Seiten. Transit-Verlag, Berlin 2012. 18.80 €. besprochen von: Rebekka Roth und Laura Höfler Albanien? Das ist doch irgendwo im Balkan, oder? - Viel mehr weiß man allerdings nicht über dieses Land. Anila Wilms versucht, dies in ihrem Debütroman Das albanische Öl oder Mord auf der Straße des Nordens zu ändern. Wir befinden uns im Albanien der 20er Jahre. Die neugegründete Demokratie wird durch einen einschneidenden Zwischenfall auf die Probe gestellt: Zwei junge amerikanische Touristen werden auf der Straße des Nordens erschossen. Vergeltung kann nur durch Blutrache geschehen, eine groteske Suche nach dem Täter beginnt. Der Mord bringt die eh schon zerrütteten innerpolitischen Verhältnisse durcheinander: Es kommt zum Bürgerkrieg und die noch junge Demokratie zerfällt. Der Roman beruht auf wahren geschichtlichen Begebenheiten. Niemand weiß dies besser als die Autorin. Anila Wilms kommt nicht nur selbst aus dem Norden Albaniens, sondern ist auch studierte Historikerin mit Schwerpunkt auf der albanischen Zwischenkriegszeit. 1994 kam sie durch ein DAAD Stipendium nach Deutschland und lebt seitdem in Berlin. Hier musste sie feststellen, dass das kommunistische Regime ihres Heimatlandes die historischen Tatsachen zu seinen Gunsten verdrehte. So begab sie sich auf die Suche nach der historischen Wahrheit Albaniens. Am Ende ihres Studiums sollte eigentlich ihre Dissertation stehen, dies war ihr aber zu arm an darstellerischen Möglichkeiten. Deswegen entschied sie sich, die gesammelten Informationen in einem historischen Tatsachenroman zu verarbeiten. Die Sprachkünstlerin Wilms schafft es, fundiertes Wissen mit einer meisterhaften Stilistik so zu kombinieren, dass es dem Leser nicht schwer fällt, sich von ihr entführen lassen. Allerdings wird viel Vorwissen abverlangt. Zwar erfährt man auf den knapp 170 Seiten sehr viel über die Geschichte Albaniens, dieses Wissen kommt jedoch so gebündelt, dass man schon fast überfordert ist, alles aufzunehmen. Um sich selbst ein Bild über die Autorin und ihr Erstlingswerk zu machen, sind Sie herzlich eingeladen, am 5. November 2013 um 19.30 Uhr in den Wallsaal der Stadtbibliothek zu kommen, dort liest sie im Rahmen der diesjährigen globale° und stellt sich unseren Fragen. |
|